BRUTALISM.

26. Juli 2016

Ein Besuch im Londoner „Barbican“ hatte uns darauf gebracht: Wir mögen es brutal. Bevor Sie jetzt an Ballerspiele und Zombie-Filme denken: Es geht um Architektur.

Moderne Architektur hat durchaus ihre Fans, aber auch viele Feinde – wenn man mal in diesen Kategorien denken will. Oft erscheint das 20 Jahrhundert wie ein radikaler Bruch mit den althergebrachten Traditionen in Baukunst und Handwerk. Wer Fachwerk und Butzenscheiben liebt, wird nun einmal eher in Rothenburg ob der Tauber fündig als in London, Paris oder New York. (Dabei ist ein Stahlskelettbau rein technisch nichts anderes als die logische Fortsetzung des Fachwerks mit anderen Mitteln.)

 

Besonders große Abneigung ruft dabei ein Material hervor, dass als Erkennungsmerkmal der Moderne gilt: Beton. Die sprichwörtliche „Betonwüste“ ist als schlagendes Argument den Gentrifizierungskritikern genauso geläufig wie Seiner Exzellenz Prince Charles (der der modernen Architektur ein ganzes Dorf bei Dorchester entgegengesetzt hat, das eher seinem Geschmack entspricht). Und die Krönung des Betonbaus ist natürlich der Sichtbeton – der dem Brutalismus seinen Namen gegeben hat. Das Wort stammt vom französischen „béton brut“, was in diesem Zusammenhang „roh“ oder „unbearbeitet“ bedeutet und nichts mit optischer Brutalität zu tun hat.

 

Zwei Dinge fallen dabei auf: Erstens ist Beton ein uralter Baustoff, der bereits von den Römern eingesetzt wurde (etwa bei der Kuppel des Pantheon, beim Aquädukt- und Strassenbau). Zweitens handelt es sich um ein natürliches Material aus Kies, Sand und Zement und eben nicht um einen modernen „Kunststoff“. Der Widerwillen der Kritiker beruht also wohl vor allem auf der „Nacktheit“ – der Schmucklosigkeit, die die Moderne ja in allen Bereichen propagierte. Nackter Beton ist der extreme Gegenpol zu allem, was oft als „gemütlich“ empfunden wird. Und dennoch empfinden wir persönlich diese Einschätzung als ungerecht. Denn wenn man genauer hinsieht, ist Beton ein sehr sinnliches Material, das von extrem rau über fast samtige Oberflächen bis hin zu polierter Glätte sehr wandlungsfähig ist. Gerade in der Kombination mit Holz, Leder und Stoffen können Betonflächen auch in Innenräumen wunderbar funktionieren. Und natürlich wirken die modernen Klassiker, denen wir uns bei func. verschrieben haben, vor einer Betonwand irgendwie „zuhause“.

 

Wer mehr zu diesem Thema erfahren will, findet einen guten Startpunkt für Recherchen beim Londoner Barbican: www.barbican.org.uk/buildingthebrutal

 

Auch sehr schön: Die Shop-Seite vom Barbican: shop.barbican.org.uk/collections/architecture

 

Interessante Einblicke in das Leben in brutalistischen Gebäuden bringt dieser Artikel: standard.co.uk/lifestyle/esmagazine/brutal-attraction-meet-the-londoners-who-live-in-the-citys-most-controversial-buildings

 

Noch bis Mitte Oktober zeigt die Kunsthalle Wien eine Ausstellung über brutalistische Architektur: kunsthallewien.at/#/de/ausstellungen/beton

 

Weitere Beispiele der Beton-Moderne: stylepark.com/de/news/schoen-betoniert

 

Ausserdem zwei Buchempfehlungen:

 

Zur Geschichte des Betons: wikipedia.org/wiki/Beton

 

Zur Architekturdiskussion in England findet sich hier ein interessanter Artikel: theguardian.com/artanddesign

 

Und wer eher zu Prince Charles’ Ansicht neigt, findet hier Trost: princeofwales.gov.uk/features/poundbury

 

Foto: barbican.org.uk